Liebe Freundin…
ein Jahr ist nun vergangen. Ein Jahr seit ich mich an einer Kreuzung meines Lebens befunden habe und mich für den nebligen Weg entschied. Und ich bereue meine Entscheidung nicht. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass ich Entscheidungen grundsätzlich nicht bereue. Es macht für mich einfach keinen Sinn. Denn egal in welcher Situation meines Lebens ich eine Entscheidung treffe, tue ich dies stets, weil ich in diesem Moment meines Daseins davon überzeugt bin, dass es die bestmögliche Lösung ist. Und wer kann schon in die Zukunft blicken?
Eine Entscheidung nicht zu bereuen, bedeutet nicht, im Nachhinein immer glücklich damit zu sein. Man denke dabei nur an meine zweifelhafte Entscheidung unbedingt Snowboardfahren lernen zu wollen. Und natürlich musste es gleich der 3-Tages-Kurs sein. Tief in meinem Inneren wusste ich zwar irgendwie, dass ich nicht so recht der Typ dafür bin. Nicht nur, dass ich ein bisschen unsportlich bin. Ich hasse es außerdem zutiefst, wenn es irgendwo rutschig ist, ich hinfalle oder mir kalter Schnee den Rücken runterläuft. Snowboardfahren zu lernen bedeutet aber ziemlich genau das in dieser Reihenfolge. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich in meinem Leben so viel geweint habe, ohne zu wissen, ob es Tränen des Schmerzes, der Trauer oder der Wut waren.
Doch ich hatte einen guten Grund. Mein damaliger Partner und zweite große Liebe meines Lebens nach Leo DiCaprio, war leidenschaftlicher Snowboardfahrer und ich wollte eben gefallen und dazugehören. Großer Mist. Für mich bedeutete es nun, nach einer eher unglücklichen Entscheidung, mit mir selbst nachsichtig zu sein und mir genau diesen Fakt zuzuschreiben. Nämlich die beste Lösung für den Moment gewählt zu haben, ohne die Gabe in die Zukunft schauen zu können. Mitgefühl für sich selbst zu haben, um nicht ins Hadern zu verfallen, sondern handlungsfähig zu bleiben, um mit der neuen Situation umzugehen und einfach neue Entscheidungen zu treffen. In meinem Fall hieß das, das Board abzuschnallen und auf dem Po zur nächsten Hütte zu rutschen, um den besten Jagertee aller Zeiten zu genießen. (Kleine Randinfo: Es ist nicht gern gesehen, die Piste mit dem Po oder den Boots zu betreten.)
So befinde ich mich also noch immer auf meinem Weg im Nebel. Das Ziel, das ich ansteuere, noch ein Vielfaches an Wegkreuzungen entfernt. Dabei weiß ich, der Weg ist das Ziel. Noch ein Postkartenspruch. Also halte ich einmal inne und blicke zurück auf die wilden Berg- und Talfahrten dieses Weges im letzten Jahr.
Wie ich mich unartig und dadurch höchst mutig mit meinem inneren Kritiker auseinandergesetzt habe. Wie ich meine Einzigartigkeit anerkannt, schätzen und lieben gelernt habe, um tiefe Zugehörigkeit zu mir selbst zu erfahren. Ein Bedürfnis, das tief in uns verankert ist.
Ich habe das Leben und mich selbst gefeiert und dabei manchmal vielleicht sogar über die Strenge geschlagen. Super, denn ich wollte ja auch unbedingt unartig sein. Ich habe mir Moonboots für meine fiktive Traumhochzeit gekauft, um gegen jedwede Vernunft wild romantisch zu bleiben, wie ich es aus alten Zeiten von mir kenne. Bevor das Leben seine Spuren hinterließ und sich in meinem Gehirn breit geteerte Synapsen-Autobahnen bildeten, die wir alle kennen, und die uns nur zu häufig im Erwachsenenalter zu Zynikern werden lassen. Ich habe wilde Kämpfe mit meinen Emotionen ausgetragen und plaudere mittlerweile höchst bereitwillig mit meinem Körper.
Es ist eine Menge passiert auf diesem Weg. Ein Weg, der mich letztendlich immer weiter zu mir selbst führt. Ein tägliches Date. Ein Kennenlernen. Und aus anfänglicher Neugier wird tiefe Verbundenheit und Liebe.
Und plötzlich sind da auch neue Wegbegleiter. Menschen, die mich sehen und annehmen wie ich bin, weil ich es selbst mittlerweile tue.
Doch eines hat sich nicht verändert. Du an meiner Seite. So danke ich dir für ein weiteres Jahr echter Freundschaft. Nicht nur lachen, albern oder philosophieren. Sondern auch da sein. Immer und mit ganzem Herzen. Mich zu sehen und anzunehmen mit all meinen Facetten. Mich auszuhalten, wenn ich unausstehlich bin und mich dennoch gleichermaßen zu lieben, denn auch diese Seite gehört zu mir. Mir einen bedingungslosen Platz in deinem Herzen anzubieten, um den ich nicht kämpfen muss.
Danke!