Liebe Freundin…

mein Nacken zwingt mich in die Horizontale. Zu schwer wiegt offensichtlich mein Kopf.

So entspannt ich gestern noch schlafen gegangen bin, so angespannt war meine Nackenmuskulatur heute morgen als ich aufwachte. Ich frage mich, was in dieser kurzen Zeit passiert ist. Und es war wirklich eine viel zu kurze Zeit. Wie immer. Wann auch immer der Wecker klingelt, ist es einfach zu früh. Uhrzeit egal. Aufstehen ist immer eine Qual. Vielleicht rede ich mir das aber auch schon so lange ein, dass es bereits in meine Identität übergegangen ist, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben jemals leichter für mich zu werden. Dabei erzählen die Leute davon, dass man im Alter viel weniger Schlaf benötige. Wenn man dem Glauben schenkt, dürfte ich dem Säuglingsalter noch nicht entwachsen sein.

Heute Morgen allerdings kam ich aus ganz anderen Gründen nicht aus dem Bett. Und stark gealtert fühlte ich mich gleich dazu. Trotz Säuglingsschlaf.
Also rollte ich mich unter stechenden Schmerzen aus dem Bett, den Blick nach vorne gerichtet. Klingt philosophisch gesehen zunächst wunderbar, eine andere Position ließ mein Hals jedoch schlichtweg nicht zu. Und ich wusste, diesen Schmerz werde ich durch Joggen bei meinem Lieblingsschlösschen nicht los. Dieser „Schlag ins Genick“ möchte mir etwas anderes mitteilen, als meine zeitweise mangelnde Selbstfürsorge.

Und meine Aufmerksamkeit hat er definitiv erlangt. Beim besten Willen gelang es mir nicht, den Fokus auf etwas anderes zu lenken, dabei habe ich mir dafür besonders viel Mühe gegeben und alle mir bekannten Ablenkungs-Strategien aufgefahren, um über den Tag zu kommen. Aber diesen Kampf habe ich verloren. So bin ich also in der Horizontalen gelandet.

Denn mein Kopf, als Last auf meinen Schultern, zeigt sich heute zu schwer, der Druck möglicherweise zu groß, ein Aufrichten ist nicht mehr möglich. Aber wie kam dieser plötzliche Zusammenbruch? Also versuche ich mal wieder der Stimme meines Körpers zu folgen. Die Stimme, die meist so klar, aber der Dialekt so fies und oft missverständlich ist.

Aber da mich mein Nacken nun schon zum Liegen zwingt, kann ich zumindest versuchen, ein bisschen zuzuhören. Also schau ich mir den Schmerz einmal von innen an und begrüße ihn einfach mal freundlich, in der Hoffnung, dass er meine Wut nicht spürt, die ich sorgfältig unterdrückt habe, damit mein Nackenschmerz möglichst schnell in Plauderlaune kommt. Dass das keine gute Idee war, spüre ich sofort, als sich die Wut ihren Weg in meinen Magen bahnt, um es sich dort gemütlich zu machen und sich wie ein alter stabiler Seemannsknoten festzusetzen. Na toll.

Dann heißt es jetzt zunächst einmal Knoten lösen, dabei gehört das ganz und gar nicht zu meinen Talenten. Weder auf, noch zu. Während ich als Kind meine verknoteten Brottüten irgendwann frustriert an der Seite aufriss, flogen mir jegliche Luftballons bei Partyvorbereitungen immer um die Ohren, bevor ich es auch nur annähernd geschafft habe, einen Knoten in seinen Ballonhals zu bekommen.

Heute allerdings habe ich es direkt geschafft meinen eigenen Hals zu versteifen und einen Wutknoten in meinem Magen zu fabrizieren. Ich sollte stolz sein. Also lasse ich die Wut los und kann mich wieder freundlich, und diesmal wirklich, meinem Schmerz widmen. Nach einer erneuten Begrüßung versuche ich also die beste Beschreibung dafür zu finden und bin überrascht wie wortgewandt sich heute meine Körperstimme zeigt.

„Die Angst sitzt mir im Nacken.“

Welche Angst? Ich prüfe noch einmal nach, ob ich wirklich richtig verstanden habe, doch es passt. Es fühlt sich absolut stimmig an. Und ich denke nach. Über meinen neu eingeschlagenen nebligen Weg. Den ich voller Euphorie losmarschiert bin. Bewaffnet mit meinem Survival kit, von dem ich noch immer nicht sagen kann, ob es passen wird. Doch das Geschäft in dem ich es erstanden habe, hat sich geweigert mir eine Garantie zu geben. Frechheit. Doch alles schien mir kein Problem. Die Vorfreude zu groß. Das Vertrauen in mich selbst ebenso. Also lächelte ich alle Besorgnis weg. Stieg über Warnschilder am Wegesrand, ohne sie genau zu lesen, schließlich möchte ich nicht verunsichert werden. Genieße die Anerkennung meines Mutes. Doch Mut ist nun mal nicht alles.

Unsere Gefühle möchten alle ernst genommen werden. Und dabei gibt es weder gute noch schlechte. Wie ein wohlwollendes Beratungsteam sitzen sie allesamt in unserer Schaltzentrale und teilen sich über unseren Körper mit. Manches fühlt sich natürlich tatsächlich unangenehm an. Und wir neigen dazu, es schnell wegzudrängen oder zu ignorieren. Steigen über Warnschilder hinweg, anstatt sie zu lesen und damit umzugehen. Umso lauter muss es letztendlich werden, damit wir hinhören. In meinem Fall sehr laut.

Also entschuldige ich mich bei meiner Angst. Auch sie darf auf meinem Weg natürlich ein Teil von mir sein. Mich warnen und beschützen, ohne mir gleich den Weg zu versperren. Aber mich vielleicht gelegentlich auf eine Stolperfalle hinweisen, über die ich dann mutig hinwegsteige, anstatt darüber zu fallen und mir die Nase zu brechen. Und manchmal darf ich auch darum herum gehen. Nämlich dann, wenn ich merke, dass ich meine eigene Identität verleugnen würde, indem ich darübersteige. Denn auch dazu neigen wir. Dinge zu tun, die eigentlich nicht zu uns passen, aber möglicherweise gerade passend auf unserem Weg liegen.

Manchmal so häufig, dass wir gar nicht mehr recht wissen, was oder wer wir eigentlich sind. Meist spüren wir zunächst noch ganz deutlich, wenn wir gegen unsere eigene Natur und unser eigentliches Bedürfnis handeln. Und ich manch Situationen lässt es das soziale Miteinander auch nicht anders zu. Doch auch in diesem Fall wehrt sich unser Körper irgendwann und bringt uns zum Erliegen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Um wieder hinzuhören. Damit wir genau das Leben leben können, das zu uns passt. Nicht mehr und nicht weniger. Und dafür bin ich unendlich dankbar.