Liebe Freundin…

heute war ich bei meinem liebsten der drei Schlösschen in meiner kleinen Stadt. An einem Sonntag. Einem sonnigen Sonntag. Die einsamen Baumalleen, die sich um den kleinen See vor dem Schlösschen befinden, eignen sich in der Regel wundervoll zum Laufen und um den Kopf freizubekommen. Doch nicht an einem Sonntag. Schon gar nicht an einem sonnigen. Dann sind die Wiesen nicht mehr grün, sondern bunt von Picknickdecken. Ein tolles Plätzchen für verliebte Paare, Familien, Freunde, Feiernde oder Hunde. Ein fröhliches Miteinander. Aber nicht mehr geeignet für Laufen und den Kopf frei bekommen.

Hart gehe ich mit mir selbst und meiner Kopflosigkeit ins Gericht, obwohl mich meine Überlastung ja erst zu dieser Aktion geführt hat. Und ich frage mich, was ich nur für ein blöder Hornochse bin, dass ich den sonnigen Sonntag nicht bedacht habe.

Nach diesem ordentlichen Rüffel war ich jedoch ebenso ordentlich geknickt. Wollte ich diese Freundschaft zu mir selbst überhaupt noch aufrechterhalten, nach diesen harschen Worten, obwohl mir doch bewusst sein musste, wie voll mein Kopf war?

Ich sollte dringend die Konversation mit mir selbst besser im Blick behalten.

Wenigstens konnte ich meine Aggressionen nach der anstrengenden Parkplatzsuche dann doch noch ein wenig beim Schlangenlinien-Joggen durch die Allee abbauen.

Da waren sie.

All die Menschen, die diese traumhafte Kulisse nutzten, um sich selbst gekonnt in Pose und in Szene zu setzen. Versteckt hinter ihren Make-Up-Masken, ein Lächeln im Gesicht, obwohl manche Pose wahrlich Schmerzen auslösen musste und authentisch gesehen eher eine schmerzverzerrte Fratze hätte hervorrufen müssen. Und ich erwische mich in Gedanken selbst dabei, wie ich Anweisungen beim Fotografieren gebe. Bitte immer möglichst von oben fotografieren, da mir meine Oma eine gemeine Veranlagung zum Doppelkinn mitgegeben hat. Dann schnell noch den Bauch einziehen, in zehn Jahren will ich nämlich nichts mehr von dem köstlichen Käsefrühstück von vorhin als Kugel unter meiner Kleidung sehen.

Dabei war der Käse tatsächlich sehr köstlich und ebenso Erinnerungswert. Mehr vielleicht sogar als mein atemloses Grinsen beim Baucheinziehen von oben. Natürlich kennen wir auch alle unsere Schokoladenseite. Meine Schwester und Selfiekönigin hat leider die gleiche wie ich. So zanken wir uns regelmäßig um den linken Selfie-Platz. Zum Glück sind ihre Arme so lang, dass wir auch hintereinander stehen können. Was wiederum das nächste Problem, nämlich die Größe des Kopfes in Erscheinung treten lässt. So jagt ein Problem das nächste, bis das passende Bild im Handy-Kasten ist. Wir beide absolut vorzeigbar. Das Gezanke, das die Situation in Wirklichkeit begleitet hat, nicht zu erkennen.

Und das alles nur, um das perfekte Bild von uns nach außen zu präsentieren. Insgeheim schicken meine Schwester und ich uns regelmäßig Fratzenbilder. Da kann der Kopf nicht groß genug sein. Und wir lachen uns kaputt darüber, weil diese echten Bilder unsere Liebe, die wir füreinander empfinden nur noch größer werden lässt. Wir blicken gegenseitig so tief in unsere Seelen, dass uns das Äußere sowieso verborgen bleibt.

Aber für alle anderen halten wir die Fassade aufrecht. Verstecken uns hinter eingezogenen Bäuchen, da leckerer Käse bei manchen vielleicht auf Unmut stoßen könnte.

Und da war sie wieder. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Wir wollen gefallen und geliebt werden. Dafür verraten wir auch mal gerne uns selbst. Erst nach der Trennung von meiner zweiten großen Liebe habe ich meine Leidenschaft zu lateinamerikanischen Rhythmen entdeckt. Davor war Indie-Rock die Musik, die ich hörte. Es gefällt mir auch heute noch. Aber ICH bin das in Wirklichkeit nicht. Das wusste ich jedoch nicht. Zu früh haben wir uns ineinander verliebt, zu wenig wussten wir über uns selbst. Gemeinsam hatten wir eine wundervolle Zeit voll tiefer Liebe, doch heute bin ich froh, dass ich dieses unglaubliche Gefühl nicht mehr missen muss, sobald die wilden Rhythmen des amerikanischen Südens durch meine Nervenbahnen zucken.

Wer weiß welche Musik ich mit meiner ersten großen Liebe Leonardo DiCaprio gehört hätte.

Die nächste Liebe, die ich erleben durfte, war mein ehemaliger Nachbar. Jedes Mal bevor ich vor die Wohnungstüre ging, war ich stets auf ein repräsentables Äußeres bedacht. Das passende Outfit, das meine selbst ernannten Problemzonen verdeckte, die Haare gestylt, die Laune gut, um auch witzig sein zu können, wenn es darauf ankommt. Leider traf ich ihn nur selten im Treppenhaus. Dafür einmal nachts in der Waschküche.

Davor hatte ich mich im Selbstmitleid gesuhlt. Und zwar das volle Programm. Zwei Stunden hemmungsloses Weinen. Die Augen verquollen, die Nase knallrot, die Haut vom Kissen, das mir Trost gespendet hatte, zerknittert. Und dann auch noch die Wäsche im Keller, die ich vergessen hatte aufzuhängen. Was für ein scheiß Leben. Also alten Jogginganzug an, Haare zur Hausfrisur nach oben gebunden. Alles egal. Gerade als ich dabei war meine ganze Wäsche in den Trockner zu schmeißen, weil ja alles egal war, hörte ich seine Schritte. Ich wäre gern im Boden versunken. Viel später erst erzählte er mir, dass es genau dieser Moment war, als meine Hose auf Halbmast hing und ich genervt und verschwitzt meine Wäsche versorgt hatte, als er sich in mich verknallt hatte.

Wie viel einfacher hätte ich es die Wochen davor und auch noch danach haben können, bis er mir diese Geschichte erzählte und ich erkannte, dass es wohl nicht mein Talent zum Problemzonen verstecken war, das seine Leidenschaft für mich entfacht hatte.

So sind wir also stets bemüht ein Bild zu präsentieren, das unserem Gegenüber hoffentlich gefällt, sodass wir angenommen werden und uns sicher fühlen. Manchmal, weil wir aus Angst, nicht angenommen zu werden, vorgeben etwas zu sein, was wir nicht sind oder manchmal, weil wir gar nicht wissen, wer wir sind. In beiden Fällen kommt meistens irgendwann der Punkt an dem wir unglücklich werden. In Freundschaften oder Beziehungen. Da wir das Gefühl haben, nicht gesehen zu werden. Oder merken, dass man doch nicht recht zusammenpassen mag.

Denn auch bei unserem Gegenüber verlieben wir uns manchmal lediglich in das Potential, das wir in ihm oder ihr sehen wollen oder das Bild, das diese Person uns vorgibt. Doch am Ende wollen wir schlicht wir selbst sein. Unsere Leidenschaften leben oder unseren möglichen schwarzen Humor. Um genau dafür geliebt zu werden. Denn nur dann haben wir die Möglichkeit auf ein wirklich glückliches Miteinander. Wenn wir unser ganzes Potenzial entfalten und uns mit Menschen umgeben, die dieses Potential fördern und uns so sehen und lieben, wie wir sind.

Lohnt es sich also direkt und gleich einfach wir selbst zu sein? Zunächst einmal herauszufinden, was mich selbst aus- und glücklich macht, um mich dann voll und ganz zu zeigen? Die Ängste abzulegen abgelehnt zu werden, da diese Menschen, die das tun, sowieso nicht zu mir passen und mein Potential zum Schweigen bringen?

Wie viel einfacher wäre das.

Und diese Gedanken entspannen mich auf mehreren Ebenen. Hatte ich mich vorhin noch darüber geärgert, dass ich nicht zumindest noch kurz meine Haare gewaschen habe, hätte ich über den sonnigen Sonntag nachgedacht, bin ich jetzt doch froh darüber. Schließlich macht das keinen Sinn, dusche ich nach dem Laufen ohnehin. Also stehe ich dazu, eine Fettige-Haare-Joggerin zu sein.

Wem das nicht gefällt, darf gerne wegschauen.