Liebe Freundin…

ich kann mich nicht richtig fühlen, langweile mich, nichts kann mich zur Zeit mehr in Begeisterung versetzen. Du nimmst meine Worte auseinander, drehst und wendest sie und meinst im Wort ‚Begeisterung‘ steckt auch mitten drin das Wort ‚Geist‘. Und vielleicht hat er gerade einfach eine Pause verdient. Sehnt sich danach. Zu viel denken, visionieren und tagträumen.

Jeden Tag habe ich ihn fleißig mit Begeisterung gefüttert. Und jetzt? Ist er schlicht satt. Vielleicht sogar überfressen. Und wie sich das anfühlt kennen mein Magen und ich auch sehr gut. Wenn ich für zwei Personen gekocht habe, nicht etwa wirklich für eine zweite Person, sondern nur damit ich morgen nicht sofort wieder in der Küche stehen muss. Und ich stelle die Tupperbox direkt schon auf die Küchenplatte, damit ich mein Vorhaben auch ja nicht vergesse. Und dann schmeckt es doch jedesmal so unglaublich gut.

Nicht dass ich besonders gut kochen könnte. Ich weiß nur um den Gebrauch von Unmengen Olivenöl und ich liebe es. Bin ich erstmal bei der Hälfte der Portion angekommen – es wäre also höchste Zeit einzutuppern – rede ich mir ein, dass mir am nächsten Tag vermutlich eine kleinere Portion auch ausreichen werde und ich mir nun noch ein wenig gönnen könnte.

Nicht weil ich noch hungrig wäre. Mein Sättigungsgefühl hat bereits alle Arbeit geleistet und fleißig in meinem Gehirn Alarm geschlagen. Mein Magen wäre jetzt voll, mein Energielevel erreicht, mein Überleben gesichert. Doch das zu ignorieren ist wirklich meine leichteste Übung. Dieses Training ist längst abgeschlossen. Da bin ich bereits fast so gut wie im Gebrauch von Olivenöl.

Also schöpfe ich noch einmal großzügig auf, nur um festzustellen, dass es sich sowas von nicht lohnt, diese mickrige Restportion im Anschluss dann noch aufzubewahren. Also stecke ich die Dose wieder in den Schrank, überlege mir schnell vorab eine Alternative für den Folgetag und gönne mir auch noch die restlichen Bissen, während sich mein Sättigungsgefühl frustriert und mit einem Gefühl des Versagens zurückzieht. Und das nur um einem anderen, weitaus aufdringlicherem Gefühl Platz zu machen, das daran erinnert, als würde man auf dem Grand Canyon stehen und nach Luft ringen, da der Sauerstoff so dünn ist. Dabei hat die Lunge einfach nur nicht mehr genug Platz, um sich ordnungsgemäß zu entfalten, weil der Magen zu viel Raum einnimmt.

So fühlt sich nun also mein Geist. Du hast recht, er braucht eine Pause. Und mein restlicher Körper mehr Aufmerksamkeit. Vor lauter Begeisterung über meine Visionen, habe ich den Blick für das Hier und Jetzt verloren. Für das, was gerade ist. Mein Geist schwebte frei, wild und unkonventionell und hat meinen Körper abgehängt. Kein Wunder, dass ich mich nicht mehr spüren kann.

Dabei liebe ich es in vollen Zügen Mensch zu sein und alles auszukosten, was das Leben mir zu bieten hat mit allem, was ich bin. Aktuell beschränkt sich mein Mensch-Sein aber hauptsächlich darauf, auf dem Sofa zu liegen, olivenölgetränkte Mahlzeiten zu essen und mich in Tagträumereien zu verlieren. Vor allem wenn Andreas Marthaler von den „Bergrettern“ in Ramsau auf ZDF mal wieder heldenhaft Personen aus dem Berg pflückt und ich mich in seinen muskulösen Armen gehalten sehe.

Dabei wäre jetzt vielleicht die Zeit einen Ausflug in die Berge oder die Natur zu planen und mich damit selbst zu retten. Vielleicht reicht auch nur ein Spaziergang durch den Wald. Die botenstoffgetränkte Luft dort bewusst einzuatmen, die Pflanzen und Bäume wahrzunehmen, den unebenen Boden unter meinen Füßen spüren. Die Lebendigkeit hören, das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel. Einfach lebendig sein. Den Geist ruhen und verdauen lassen, das Leben dafür spüren. Wieder eine Balance zu schaffen zwischen meinem freiheitsliebenden Geist und meinem Sein im Hier und Jetzt. Die Freude in meinem Herzen zu spüren, egal wieviel Platz mein Magen gerade einnimmt. Danke für dieses Wortspiel liebe Freundin, ich packe jetzt meinen Rucksack und lasse mich retten.