Liebe Freundin…
heute packte ich meine Koffer. Und ich hasste es. Nicht, weil ich keine Vorfreude auf meine bevorstehende Reise empfinde. Einfach nur, weil mir Kofferpacken so viel Freude bereitet wie der elendige Abwasch, der mir auch noch bevorsteht. Verdammt. Aber wer weiß, welche neuen Mitbewohner ich haben werde, lasse ich das Geschirr über die Zeit meiner Reise verschmutzt auf der Anrichte stehen. Also werde ich wohl noch einmal meinen inneren Schweinehund überwinden müssen. Vielleicht gelingt mir das ja leichter mit Musik. Spanische Musik. Denn dahin wird meine Reise gehen. Spanien. Ich liebe dieses Land. Wie soll es auch anders sein, schließlich ist es das Land meines heiß geliebten Olivenöls. Ebenso des Flamencos, köstlicher mediterraner Küche, pulsierender Lebensfreude und einer so melodischen Sprache, dass ich stundenlang zuhören könnte, ohne auch nur ein Wort zu verstehen.
Und ich reise allein. Eine Tatsache, die ich mir vor ein paar Jahren noch nicht hätte vorstellen können. Doch dieser Herausforderung wollte ich mich vor ein paar Jahren unbedingt zum ersten Mal stellen. Mich selbst näher kennenlernen. Wer bin ich auf Reisen, wenn ausschließlich ich selbst mich leite? Wann stehe ich auf, was interessiert mich, wie schlage ich mich durch ohne auch nur ein Wort zu verstehen? Wann gehen mir meine eigenen Gedanken auf die Nerven?
So trat ich dann damals irgendwann meine erste „eigene“ Reise an und stieß schon bei der Zugfahrt zum Flughafen auf die erste Hürde. Voll bepackt und bereits den zweiten Kaffee intus, drängte mich meine Blase auf die Toilette. „Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“ schallte es mir jedoch gleich in den Ohren und ich fragte mich, wie um alles in der Welt ich selbst, inklusive meines ganzen Hab und Gut in die enge Zugtoilette passen sollte. Wow. Bis heute habe ich dieses Problem noch nicht gelöst. Ich werde jedoch besser im Ausbalancieren über der Toilette mit schwerem Rucksack auf dem Rücken. Etwas worauf ich mächtig stolz bin. Das Nächste, was mich völlig faszinierte, war, dass ich tatsächlich häufig gar nicht allein war. Ich wusste zwar, dass Einsamkeit kein Thema für mich werden wird. Denn meine Verbundenheit zu dir und meiner Schwester, sowie meinem tanzenden Nachbarn und spanischen Sprachlehrer, dem es bis heute nicht gelungen ist, mich zum Lernen zu bewegen, erlaubte es mir stets, mich geborgen zu fühlen. Diese Verbundenheit, die ein Geschenk ist und dennoch hart erarbeitet. Im Laufe unserer Freundschaft sind wir schon mehrfach über unser beider Grenzen gegangen, um füreinander da zu sein oder waren gezwungen unsere Freundschaft weiterzuentwickeln, ob wir nun wollten oder nicht. Doch wir waren es uns immer wert diese harte Arbeit auf uns zu nehmen und heute weiß ich, dass ich niemals einsam sein werde, egal wo auf der Welt ich mich gerade befinde.
Doch ich hatte Respekt vor dem Alleinsein.
Umso mehr war ich überrascht, wie leicht es als Alleinreisende gelingt mit Wildfremden Personen ins Gespräch zu kommen. Selbst wenn man keine gemeinsame Sprache spricht. So wurde ich täglich angereichert mit Geschichten und Leben der unterschiedlichsten Menschen und durfte somit meinen eigenen Horizont um ein Vielfaches erweitern. Ich erfuhr mehr über das aufregende Surferleben eines mittlerweile Barbesitzers oder bekam Einblicke in eine kleine Galerie, deren Besitzerin ich unterwegs traf. Wurde eingeweiht in die Vor- und Nachteile eines Kommunenlebens oder lernte die Lebensform von Haussittern kennen, die ohne festen Wohnsitz von Haus zu Haus pilgerten.
Ein Aspekt den ich von Herzen schätze. Und gleichzeitig lerne ich soviel dabei über mich selbst. Und so habe ich das Alleinreisen kennen- und lieben gelernt. Meine Ängste abgeschüttelt und genieße es einfach. Dann zu essen, wenn ich wirklich hungrig bin. Oder auch zu essen, wenn ich überhaupt nicht hungrig bin, jedoch den köstlichen Gerüchen eines Marktes nicht widerstehen kann. Oder morgens im Bett liegen zu bleiben, auch wenn ich vermeintlich etwas verpassen könnte. Und vor allem nicht abhängig von den Stimmungen Mitreisender zu sein. Nur meiner eigenen. Was mich meist mehr als genug in Anspruch nimmt.
Natürlich genieße ich auch weiterhin die Vorzüge mit einem Reisepartner unterwegs zu sein. Nicht alle Entscheidungen selbst treffen zu müssen, den doppelten Mut für gewagte Unternehmungen zu haben, ergreifende Momente gemeinsam zu fühlen und zu teilen. Jemanden zu haben, der mein Gepäck im Blick behält, wenn ich mal wieder auf den zweiten Kaffee nicht verzichten konnte und dringend die Toilette aufsuchen muss.
Doch wenn ich bereit bin, mich für die Vorteile beider Situationen zu öffnen, bin ich frei und bleibe handlungsfähig. Indem ich die Situation annehme, wie sie gerade ist, bin ich unabhängig, ob ich nun allein bin oder nicht. Und dann kann ich das Licht in jeder Situation genießen und die Schätze finden, die in der Dunkelheit versteckt sind.