Liebe Freundin…

ich glaube wieder an die Liebe. Die unüberwindbare, tiefe, wilde und unzähmbare wahre Liebe. Dank Netflix und „TRISTAR Pictures“.

Ohne den Hauch einer Vorahnung, was dieser Abend noch für mich bringen würde, war ich zunächst einfach nur gewillt, mir eine romantische Komödie aus den Neunzigern in Kombination mit einem Glas Rotwein zu gönnen. Natürlich wie immer auf dem Boden vor meinem Sofa, mit abwechselnd einschlafenden Pobacken. Direkt zu Beginn des Films „Only You“ lotet ein junges Mädchen namens Faith auf einer Alphabet-Tafel den Namen ihres Seelenpartners aus. Und die Erinnerung trifft mich wie ein Pfeil. Du und ich, auf deinem Zimmerboden liegend. Mit Blick auf deine Poster an der Dachschräge konnte man sich entweder nach Schottland träumen oder in die Arme von Martin Schmitt, dem damals so erfolgreichen Skispringer. Meistens hingen unsere Gedanken irgendwo dazwischen. Stundenlang lauschten wir den Lyriks diverser Liebessongs oder lasen uns unsere selbstgeschriebenen Gedichte über die Liebe vor. Lauschten den verzaubernden Geschichten deiner überall im Zimmer versteckten Elfenfiguren, die zu uns zu sprechen schienen. Tanzten zu Dolly Parton und lebten ganz nach ihrem Zitat „Find out who you are and do it on purpose“. Voller Leidenschaft, und davon hatten wir in der Jugend und Pubertät eine ganze Menge. Dachten natürlich genau zu wissen, wer wir waren, und verfolgten unseren innigsten Traum. Die wahre Liebe zu finden.

Ich erinnere mich gern an diese Zeit. Wundere mich nach diesen Zeilen jedoch auch nicht mehr über unsere schlechten Noten. Doch gemeinsam standen wir die Regentage durch, von denen es in der Pubertät reichlich gibt, um letztendlich mit einem Regenbogen belohnt zu werden. Und heute?

Als ich Marisa Tomei in der Rolle der Faith dabei beobachtete, wie sie auch noch im Erwachsenenalter voller Romantik über das Leben philosophiert, merkte ich, wie sehr mir das fehlte. War das nicht einst ich, die so sprach? Wo ist dieser Teil von mir auf dem Weg des Lebens stecken geblieben? Vielleicht nach der Enttäuschung durch meine erste große Liebe Leonardo DiCaprio? Oder nach meinem gebrochenen Herzen durch meine zweite?

Heute im Erwachsenenalter stelle ich mir Fragen hinsichtlich der nächsten großen Liebe, für die sich mein jugendliches Ich schämen würde. Nicht, dass ich nicht mehr an die Liebe an sich glauben würde, aber mein Verstand hat mein Herz in Sachen Liebesentscheidungen klar abgelöst und damit die Elfen zum Schweigen gebracht. Nüchtern mache ich jeder analytischen Dating-App Konkurrenz und sortiere fein säuberlich mögliche Kandidaten ins Töpfchen und unpassende ins Kröpfchen. Schließlich soll die Liebe in mein Leben passen und nicht umgekehrt. Mein Herz schaut dabei mit den Elfen schweigend vom Spielrand zu. Für die 14–jährige Anika wäre ich damit wohl eine noch größere Enttäuschung als Leonardo es war.

Doch es ist nicht zu spät. Das ist es nie. Faith hat mir geholfen mich zu erinnern. An meinen einst so unerschütterlichen Glauben an die wahre Liebe, egal wie sehr ich von anderen dafür belächelt werde. Wild romantisch zu träumen, um mich im passenden Moment und ganzem Risiko voll einzulassen. Wieder ein bisschen mehr meines jüngeren Ichs, jedoch ohne die fettigen Haare und die picklige Haut. Und mit ein bisschen mehr Verstand, aber dennoch mit offenem Herzen.